Montag, Oktober 08, 2007

Im Wendekreis des Norris

Hero (Hero and the Terror)
USA 1988
Regie: William Tannen, Drehbuch: Dennis Shryack, Michael Blodgett, Kamera: Eric Van Haren Norman, Musik: David Michael Frank, Schnitt: Christian Wagner
Darsteller: Chuck Norris (Danny O’Brien), Brynn Thayer (Kay), Steve James (Robinson), Jack O’Halloran (Simon Moon), Ron O’Neal (Mayor), Jeffrey Kramer (Dwight)

Synopsis: Es war mehr Glück als Verstand im Spiel als der Polizist O’Brien vor einem Jahr den brutalen Serienmörder Simon Moon dingfest machte: Doch die Erleichterung der Bevölkerung war so groß, dass man den Cop mit dem Spitznamen “Hero” auszeichnete – ein Name, der diesem wie Hohn vorkommt und ihn immer wieder an die für ihn sehr glimpflich verlaufene Begegnung mit der Bestie erinnert. O’Brien ist mittlerweile wieder im Alltag angekommen: Er ist mit seiner Psychotherapeutin liiert und erwartet mit dieser ein Kind als plötzlich die quälenden Albträume wiederkehren. Und zeitgleich bricht Moon aus dem Gefängnis aus und setzt seine Mordserie fort ...

FUNKHUNDD: Mit dem unsere Serienkiller-Serie abschließenden HERO widmen wir uns erneut dem Ex-Karateweltmeister Chuck Norris, zu dessen Spätwerk man diesen Film zählen muss. Mit 48 Jahren hatte er ein Alter erreicht, in dem er sich langsam über einen Imagewechsel Gedanken machen musste: HERO ist das Ergebnis dieser Überlegungen und präsentiert einen zahmeren Chuck Norris, einen mit Selbstzweifeln und Angst (!!!) ausgestatteten Durchschnittstypen, der ein zahmes Familienleben plant, seine Partnerin zum Essen ausführt und ihr Heiratsanträge macht. Um es vorwegzunehmen: Der Plan ging nicht auf. HERO war kein großer Erfolg beschieden und mit dem Nachfolger DELTA FORCE 2 wanderte der Vollbartträger wieder auf vertrauten Pfaden. Tatsächlich ist HERO für einen Norris-Fan eine schwer zu schluckende Pille und – ich hoffe, Stefan wird das bestätigen – auch als Serienkillerfilm völlig unbrauchbar. Dennoch finde ich ihn hochgradig interessant und vor allem komisch: Es dürfte nur wenige Filme geben, deren Handlung so sehr von dem Bemühen unterminiert wurde, den Helden in einem neuen Licht erscheinen zu lassen. HERO wirkt wie der Pilotfilm zu einer Fernsehserie, weil er die meiste Aufmerksamkeit dem Privatleben seiner Hauptfigur widmet, ohne diesen Aufwand letztlich in irgendeiner Form zu rechtfertigen.

DER AUSSENSEITER: Somit ist der Film auch weniger aufgrund seines versagenden dramaturgischen Konzeptes interessant, sondern mehr als Abschlussfilm einer Entwicklung der Figuren zu sehen, die Chuck Norris bis dahin verkörperte. Es ist ein weiterer Reifeprozess zu erkennen, wenn der „Hero“ sich einem Familienleben zuwendet, ein ruhigeres Leben plant und Handtaschenräubern beim Einkaufsbummel mehr per Zufall und gemütlich Zeitung lesend eins vor die Rübe gibt. Die Krawall verbreitenden „Karate-Cops“ und Kommunisten fressenden „Dschungel-Rambos“ finden so nach und nach auch ihr Plätzchen in der Gesellschaft. Selbst psychische Verwundbarkeit kann zugegeben werden und man stellt sich auch seinen inneren Ängsten. Die Verortung in dem Jahrzehnt, in welchem der narzisstische Körperkult seinen Siegeszug in der Mittelschicht anzutreten begann, fordert nach einem Albtraum erstmal das Stählen der Muckis. Entsprechend einfach die Zeichnung des Serienkillers Simon Moon, der wie ein demaskierter Leatherface wirkt und derartigen Filmfiguren näher steht als einem Hannibal Lecter. Ähnlich wie in EIN MANN WIE DYNAMIT wird mit einer Killer-Figur gearbeitet, die jedwede psychologische Grundlage entbehrt, hier aber invertiert wird. Kein gut aussehender, verschlagener junger Mann, sondern eine tierhafte Bestie; keine Jagd durch die Stadt, sondern durch die verschlungenen Labyrinthe eines renovierten Filmtheaters, welches Simon Moon einst ein Zuhause war und von ihm nach seinem Ausbruch wieder als Domizil verwendet wird. Nicht sein Geist ist komplex und muss von O’Brien erfasst, bzw. durchdrungen werden, sondern der Komplex des Gebäudes muss es; sozusagen eine Extraversion der degenerierten Psyche Moons.

STEFAN: Ich habe den Film ja zwei Mal gesehen, weil ich nach dem ersten Sehen nicht glauben konnte, dass er wirklich so schlecht ist, wie er aussah. Die zweite Sichtung hat mich dann belehrt: HERO ist kein schlechter Film – vor allem deshalb, weil er wohl ein schlechter Chuck-Norris-Film ist. Sicherlich hat der Streifen mit gewaltigen Problemen zu kämpfen. Da steht an erster Stelle eine eigenartige Zeit-Unlogik: Der Killer soll nach seinem Ausbruch in das abrissreife Kino gegangen sein, um sich dort „Monate lang“ (O’Brien) zu verstecken; das Kino wurde dann aber renoviert und er sucht sich dort einige seiner Opfer. Das beißt sich mit der Tatsache, dass sein Ausbruch und die Neueröffnung des Kinos ungefähr gleichzeitig stattfinden. Ich tendiere ja dazu, solche Unlogiken als Anlass für eine De-Realisierung bzw. strukturalistische Interpretation von Plot und Figuren zu nehmen und habe versucht, den Killer daher mehr als eine Metapher denn als manifeste Filmfigur wahrzunehmen. Das hat mir – beim zweiten Sehen – sehr geholfen zu verstehen, warum einige andere Figuren so dargestellt werden, wie sie dargestellt werden. Allen voran natürlich Danny O’Brien, der den Absprung vom toughen Fighter zum Normalbürger, -Kollegen, -Ehemann schaffen will. Der Killer – das zeigt sich schon an den Alb- und Tagträumen O’Briens – steht da als eine Altlast im Wege. Die muss beseitigt werden, damit das „Hero“-Kapitel in O’Briens Leben geschlossen werden kann. Das koinzidiert auch mit der sehr holzschnittartigen Zeichnung des Serienmörders. Sein Anstaltspsychiater bezeichnet ihn ja als „Tier“, das rein instinkthaft handelt, und sähe in lieber tot als lebendig (ein deutliches Sam-Loomis-Zitat aus HALLOWEEN). Der Killer wird also als Anti-Prinzip zum Humanen inszeniert, aber auch zur zynischen Prosperität der 1980er-Jahre (stellvertreten durch den Bürgermeister) und natürlich – darauf will ich später noch einmal eingehen – zur industriellen Überschwemmung der Kultur mit gewaltdarstellenden Kinofiktionen: Ähnlich wie in DAS PHANTOM DER OPER haben wir einen verunstalteten Mörder, der in den unbekannten Innereien (passenderweise in einem Requisiten-Raum) des Kinos lebt, von dort aus auf Beutezug geht und dorthin seine Opfer verschleppt.

FH: Die bisher genannten Aspekte lassen sich meines Erachtens ganz gut vereinen, indem man HERO als Allegorie auf die Filmpersona Norris und deren Rolle im Leben seines Darstellers liest. Da haben wir den Killer Moon, der nicht nur in seiner äußeren Gestaltung als gewaltiger Schatten ein Phantom ist, sondern auch strukturell: Er tritt kaum auf, man erfährt fast nichts über ihn, sieht ihn immer nur kurz. Er ist unübersehbar Repräsentant eines abstrakten Bösen. Auch die Inszenierung seiner Auftritte fällt ja aus dem sonstigen Rhythmus des Films krass heraus. Auf der anderen Seite steht der „Normalo“ O’Brien, der unter seinem Image als sprichwörtlicher „Hero“ zu leiden hat und mit dieser Rolle nichts mehr zu tun haben will. Sein Versuch, sich von der traumatisch aufgeladenen Vergangenheit in Gestalt Moons zu befreien, koinzidiert auf metafilmischer Ebene mit einer Umdeutung von Norris’ Filmperson, indem man versucht, ihn von der stummen Kampfmaschine zum liebenswürdigen Familienmann zu machen. So wird HERO ganz plakativ zum Kampf seines Helden mit seiner Vergangenheit – ein klassisches Noir-Motiv. Aber weil es kaum möglich ist, Norris von seinen Filmfiguren zu trennen – seine mäßige Begabung befähigt ihn ja kaum dazu, einen anderen als sich selbst darzustellen – erzählt HERO auch vom Kampf seines Darstellers mit seiner eigenen Filmvergangenheit. HERO ist ein lupenreiner Metafilm, er erzählt von den Umständen seines eigenen Werdens. In diesem Zusammenhang finde ich auch den Namen des Killers interessant: Moon. Man könnte vielleicht sagen, der Auftritt des Killers löst eine ungewollte Verwandlung in O’Brien/Norris aus: Er muss zur Bestie, zum Wolf werden – und in dieses Bild passt ja auch der wunderbar anachronistische Vollbart vom alten Chuck, dem „Lone Wolf“, wie die Faust aufs Auge.

A: Der Vollbart wird von mir eher als Symbol der Reife und Weisheit gewertet was sich auch besser mit dem Wunsch der Figur deckt, ein Familienleben zu führen. Die einsamen Wolfstage liegen ja eher hinter ihm. Überhaupt entspricht der gesamte Film einer Wunschfantasie der späten 80er. Man möchte im Grunde darauf hinaus, dass die Welt eigentlich doch in Ordnung ist. Die etwas betuliche Inszenierung des Films unterstreicht diesen Eindruck noch. Infolgedessen muss man nun nicht mehr mit einer Zero-Tolerance-Politik gegen die Verbrecher vorgehen – die Auseinandersetzung mit den Gangstern im Hafen sowie das Stellen des Taschendiebes durch O’Brien haben schon eher etwas von Schulhofrangeleien an sich –, sondern kann ein paar Gänge zurückschalten. Probleme in der Gesellschaft interessieren nur noch marginal, da man sich jetzt mehr in den Privatbereich zurückzieht. Die Feminisierung der Verhältnisse wird besonders schön durch Kay, die Lebensgefährtin von O’Brien, hervorgehoben. Sie stellt eine selbstbewusste Frau dar, die eigentlich lieber unabhängig wäre und keinerlei Lust auf Kinder und Ehekäfig hat. Nicht nur durch Brynn Thayers schauspielerische Überlegenheit gegenüber Norris wird deutlich, dass sie, wenn O’Brien seine Aufgabe erfüllt hat und nach der Beseitigung Moons endgültig sesshaft wird, die Hosen im zukünftigen Haushalt anhaben wird. Kay war seine Therapeutin, sie hat den Wolf domestiziert. Überhaupt ist die Einführung der Psychotherapie in diesem Film interessant. Gerne als Teufelshandwerk im Actiongenre verschrien (DER MANN OHNE GNADE) oder als lustige Einlage dienend (man denke an die armselige Polizeipsychologin in den LETHAL WEAPON-Filmen), darf sie nun nicht nur existieren sondern kann sogar nützlich sein. Jedoch immer noch gewissen „No Compromise“-Gesetzen unterworfen. Als O’Brien Moons Therapeuten fragt was man machen kann, wenn man seine Ängste nicht in den Griff bekommt, empfiehlt dieser ihm sich in solch einem Fall den Strick zu nehmen.

STEFAN: Ja, was für ein Ratschlag. Dieser Psychiater (ich glaube nicht, dass das ein Psychologe ist) steht mit seiner Hilflosigkeit psychischen Phänomenen gegenüber an der Seite der Psychotherapeutin, die zwar den Wolf gezähmt hat, ihn aber nun nicht füttern will. Ihre Verzweiflung beim Geburtstagsdinner ist einer der stärksten Momente des Films, weil sich hier zeigt, wie unvorbereitet der Actionheld auf Emotionen ist („Das sind ganz schön viele Wünsche für einen Geburtstag“, quittiert er ihre existenzialen Sorgen). Ich will aber gar nicht weiter das Strukturprinzip, das Funky auf den Punkt gebracht hat, diskutieren, sondern auf ein anderes Phänomen der Selbstreflexivität in HERO eingehen. Die Progression der Serienmörder-Narrationen hat deren klischierte Figuren immer mehr funktionalisiert. Ermittler und Therapeuth habe ihre „klaren Wesenszüge“ mehr und mehr verloren und Eigenschaften der anderen Seite angenommen – zumindest aber Verletzbarkeit gezeigt. Die Dialektik zwischen Verbrecher und Ermittler (die in ihrer diametralen Widersprüchlichkeit ja immer schon mehr eine Behauptung war) hat mit der schwarzen Serie begonnen sich auf der Plotebene aufzulösen, die Grenzen sind verwischt und heraus kamen dann solche Figuren wie Scagnetti in NATURAL BORN KILLERS und solche Killer wie in SILENCE OF THE LAMBS – vollständige Hybride. HERO führt uns diese Aufspaltung noch einmal vor Augen: die angesprochene Inkompetenz gegenüber psychischen „Problemen“ beim Psychiater und der Psychotherapeutin, die Traumatisierung des Helden und nicht zuletzt die Unterschätzung der „Bestie“. Denn Moon ist ja keineswegs ein „instinktgeleitetes Tier“, wie sein Anstaltsarzt behauptet, sondern besitzt einiges Talent für Verbrechensplanungen; angefangen beim Missbrauch des Schleifpulvers und der Zahnseide zum Durchsägen seiner Zellengitter über den Trick mit dem abstürzenden Auto, in dem er (nicht) sitzt, bis hin zur Anpassungsfähigkeit seiner Handschrift, mit der er die Serienmord-Ermittler eine zeitlang an der Nase herumführt. O’Briens Suche nach dem Killer und seine Beseitigung sind so gesehen auch ein verzweifelter und konservativer Versuch, das Genre wieder zu „vereindeutlichen“ – er wird abermals der Held sein, der Killer wird wieder der Böse sein. Das funktioniert aber nicht, denn wir Kinozuschauer kennen die intimen Geheimnisse beider Seiten.
FH: Absolut. Gerade weil es im Actionfilm und seinem Vorläufer, dem Western, zur Konvention gehört, dass der Held einen Teil des „Anderen“, des Bösen inkorporiert – das macht ihn ja überhaupt erst zur „Medizin gegen die Krankheit“, wie Stallone es als „Cobra“ Cobretti so schön auf den Punkt bringt –, mutet HERO mit seinem gutbürgerlichen Helden geradezu „falsch“ an. Der vermeintliche Actionfilm ist nämlich keiner, auch wenn äußerlich alles auf einen solchen hindeutet: der schlagkräftige Titel (im Original beschwört dieser ja sogar das Duell zwischen den Kräften herauf), die programmatischen, sprechenden Namen der Hauptfiguren, „Hero“ und „Terror“, und Chuck Norris als Hauptdarsteller, der auf dem Plakat bierernst und regungslos durch seine Sonnenbrille stieren darf. Dieser O’Brien ist aber kein Held im Sinne des Actionfilms. Deshalb muss ich Aussie auch widersprechen: Kay musste O’Brien gar nicht mehr domestizieren, weil dieser überhaupt nie ein „Wolf“ gewesen ist. Scherzhaft könnte man das – um im Bild zu bleiben – auch an dem Schnäuzer festmachen, den er im Prolog an Vollbarts statt hat. Aber zurück zur Sache: Nur ein verschwindend geringer Teil von HERO ist mit dem gefüllt, was dem Actionfilm seinen Namen gibt: mit Aktion. Die wenigen Szenen, in denen Norris seine Kampfkünste präsentiert, haben ja noch nicht einmal etwas mit dem Hauptplot zu tun und wirken wie nachträglich eingeklebt, um die Fans nicht völlig zu vergrätzen. Aber HERO verleugnet sein Genre auch nicht völlig. Es kommt fast einer Wiedergeburt gleich, wenn O’Brien die Mordmaschine Moon im Showdown packt und durch das Dach des Kinos in den Tod schmeißt. Nicht zuletzt, weil es wie ein verspätetes Echo des Finales von DAS STUMME UNGEHEUER anmutet, aber auch, weil hier scheinbar eine Heldenfigur gestärkt auferstehen kann, die vorher in psychologischen Zwistigkeiten gefangen war. Insofern ist HERO ein echter Bastard: Auf der einen Seite macht er nach den Menschmaschinen und Maschinenmenschen der mittleren Achtziger (an die Simon Moon mit seiner beeindruckenden Physis gemahnt) Platz für realistischere Figuren, auf der anderen Seite erfüllt diese Substitution keinen anderen Zweck, als den Helden durch die Hintertür wieder einzuführen. O’Brien/Norris völlig und endgültig in den Schoß der Familie zurückkehren zu lassen, das hat sich Regisseur Tannen dann doch nicht getraut.

A: Eben diese „Vereindeutlichung“ ist es, die in einer komplexer gewordenen Welt, eben der Welt, die HERO zeichnet, und innerhalb der Kinomoderne nicht mehr funktionieren kann. Die Non-Funktionalität der Extreme, die sich auch schon im Film Noir in Auflösung von logischen Gut/Böse-Dichotomien befunden haben, einfacher ausgedrückt: das Eine schon immer ein Teil des Anderen in sich trug, wird hier in eine neue Dimension geführt. Darum ist es eben nicht so, dass O’Brien erst zum Wolf werden muss, sondern das er mit seinem „wölfischen“ Verhalten bereits im Prolog als fehlerhaft dargestellt wird. Die Fehlerhaftigkeit Moons, der eigentlich das Extrem des Gesellschaft schädigenden Elementes vertritt, ist für den Rezipienten offensichtlich, da nacherfahrbar. Doch selbst in der „tierhaften“ Überzeichnung der Figur spiegelt sich, wie von Stefan erwähnt, noch ein logisch denkendes Wesen. Dass wirklich neue an HERO, einem für die späten 80er typischen Versuch den „familienfreundlichen Mordfilm“ zu entwickeln, ist, dass bereits zu Beginn die typische Norris-Figur mit ihrem in der Vergangenheit höchst erfolgreichen Verhalten scheitert. Die Gesellschaft verlangt nicht mehr nach schweigsamen Einzelgängern, die die Dinge selber regeln, da sie die Dinge nicht regeln können. Sie sind dem Anderen (Moon) mit ihrem Verhalten nämlich zu nahe gekommen und somit unterscheidet sie nichts mehr. Der Fanatismus O’Briens, der dem des Killers nicht unähnlich ist, lässt ihn, als sie sich zu Beginn des Filmes Moons Versteck nähern, zwei Warnungen seines Kollegen, doch besser Verstärkung zu rufen, ignorieren. O’Brien möchte es auf seine Weise durchziehen und verhält sich dabei wie die uns bekannten Norris-Figuren, doch er scheitert. Nicht etwa, weil es ihm an Entschlossenheit gemangelt hätte, sondern weil die Welt in HERO inzwischen mehr verlangt als nur „Draufhauen“ (auch wenn uns der Werbeslogan anderes glauben machen möchte). Die physische Auseinandersetzung Moons und O’Briens kulminiert in einem entsprechend unfreiwillig komischen Ende, welches O’Brien glücklicherweise für sich entscheidet. Wenn wir uns Norris’ Figuren in intertextueller Relation ansehen, dann erkennen wir den edukativen Wandel vom der Regierung den Rücken kehrenden, persönliche Frustrationen auf Feindesgebiet auslebenden Einzelgänger (MISSING IN ACTION), über den der Regierung den Rücken kehrenden, aber die Heimat auf eigenem Boden verteidigendem Einzelgänger (INVASION U.S.A.), den der Regierung zu Beginn den Rücken kehrenden, aber dann wieder sich in die militärische Gemeinschaft re-integrierenden Quasi-Einzelgänger (DELTA FORCE), bis hin zu dem plötzlich mit dem früheren Feind fusionierenden, mit ihm sogar eine Familie gründenden Einzelgänger-Vater (BRADDOCK – MISSING IN ACTION III). In HERO wird nun gleich zu Beginn klar, dass der vermeintliche Held mehr leisten muss, als in früheren Zeiten nötig war. Die mangelnde Empathie gegenüber dem Feind führt nur zu einer traumatischen Intrusion, O’Brien muss sich dem Moon in sich selbst stellen und das kann er nur mit Mitteln, die er vorher abqualifiziert hatte. Die Fusion mit dem Anderen, die schon im dritten Teil von MISSING IN ACTION angedeutet wird, wird im Endkampf mit Moon zu einer Absorption. Moon kann die ihm zur Verfügung stehenden Mittel nicht nutzen, doch O’Brien wächst über sich hinaus und legt den Wolf damit endgültig ab. Er absorbiert „das Böse“ und tötet Moon nicht, indem er ihm wie in alter Zeit körperlich überlegen ist, sondern weil er ihn wie ein Profiler – er musste sich nur in die Gebäudestruktur denken – aufspüren konnte. Zu guter Letzt wirft er Moon durch ein Dachfenster und kann endgültig eine Familie haben.

STEFAN: Die von euch beiden erwähnte „Fallhöhe“ im Finale, mit deren „Überwindung“ der Täter endgültig besiegt wird, erinnert mich an eine schöne Strukturinterpretation, die sich Terry Eagelton einmal ausgedacht hat und bei der er ein Märchen auf der Basis der in seiner Erzählung dargestellten Oben-Unten-Dichotomien analysiert hat. Gerade in Bezug auf die metaphorische Doppeldeutigkeit von „Fallhöhe“ in Bezug zur Erzählung in HERO und in Bezug auf die moralischen „Höhenunterschiede“ der Guten und der Bösen im Serienmörderfilm lässt sich eine Metaerzählung des Serienmörderfilms nachzeichnen. Ich habe das mal recht gewinnbringend an Edward Dmytryks THE SNIPER durchgeführt, in dem es auf der Bildebene auch stets darum geht, Täter und Opfer auf das selbe Niveau zu bringen. Damit wird natürlich nur verbildlicht, was eigentlich immer undarstellbar ist: der Wunsch nach sozialem, sexuellem und Affektausgleich. Das lässt sich auf DAS STUMME UNGEHEUER genauso anwenden wie auf HERO: In letzterem sind ja auch immer wieder Szenen zu sehen, die zeigen, wie Moon eine Leiter hinauf oder hinab klettert, wie O’Brien nach oben zu einem Loch in der Decke guckt und schließlich, wie Moon auf den Boden der Tatsachen (eben des „Normalen“) zurückbefördert wird. Im Unterschied zu THE SNIPER ist dieses „Normale“ allerdings selbst bereits beschädigt: O’Brien ist ja kein „normaler Bürger“, sondern eine Art „Normopath“, der seine Konflikte verdrängt, beziehungsunfähig ist und seine Rolle nicht akzeptieren kann (genau genommen kann er nicht mit seinem Erfolg, Moon schon einmal gefasst zu haben, umgehen). Diese Art der „Normalität“ scheint der Status Quo zu sein und sie ist auch viel differenzierter dargestellt als die sonstigen „reinen Figuren“ des Actionfilms. Wenn ich in diese Erkenntnis nun, um zum Schluss meiner Überlegung zu kommen, auch noch miteinbeziehe, dass Moon eben nicht in irgendeinem Gebäude lebt, mordet und schließlich stirbt, sondern in einem Kino, dann lässt sich die Strukturanalyse auf einen Diskurs von medialer Vermittlung von Gewalt, Normalität (bzw. filmisch tradierter Heteronormativität) und medialer Konstruktion von Wirklichkeit übertragen, die recht kritisch das reflektiert, was uns die Film- und Genregeschichtsschreibung suggeriert.

FH: Wenn man sich angesichts dieser umwerfenden Deutungsmöglichkeiten nun vergegenwärtigt, dass man es hier mit einem Cannon-Film zu tun hat, wird augenfällig, wie widersprüchlich der ganze Film in sich ist, ja sogar sein MUSS: Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit durchdringen sich – nicht immer absichtlich, wie es scheint – und machen HERO am Ende ähnlich undurchsichtig und verwinkelt wie es das an ein Kino erinnernde Unbewusste Moons ist. Die Verortung im Actionfilm, die Regisseur Tannen nie ganz ablegen kann (oder darf), stellt dem im Film eigentlich konsequent entwickelten Subtext letztlich auch ein Bein – auch mir, der ich mich in meiner Interpretation zuvor etwas verrannt habe. Aussie hat mit seinen Ausführungen zum Wölfischen O’Briens und seiner Menschwerdung nämlich völlig Recht: O’Brien kann Moon erst überwinden, nachdem er sich seinen eigenen Unzulänglichkeiten gestellt hat oder – um zur strukturalistischen Interpretation zurückzukommen – nachdem er die Regeln „seines“ Films gelernt hat, der in diesem Fall ein für ihn, Norris, völlig neuer ist. Die Weiterentwicklung des klassischen Actionhelden wird aber weniger explizit sichtbar als sie implizit lesbar ist. Es ist die Figur Moons sowie die Gestaltung des Finales, die HERO letztlich hinter seine eigenen Erkenntnisse und in die Strukturen des körperbetonten Actionfilms zurückfallen lassen: Die Beseitigung des Killers ist vor allem ein Kraftakt. Kein Wunder, ist Moon doch – seinen Schurkenkollegen etwa aus CITY COBRA oder DAS STUMME UNGEHEUER ähnlich – vor allem Körper und somit Repräsentant einer Filmgattung, die HERO eigentlich hinter sich gelassen hat. Die Zeit war 1988 noch nicht reif für HERO: 1990 kehrte die mittlerweile schwer angeschlagene Cannon mit ihrem Zugpferd Norris auf altbekanntes Terrain zurück. DELTA FORCE 2: THE COLOMBIAN CONNECTION mutet sogar noch reduktionistischer an als Norris’ Filme aus der Prä-HERO-Phase. Dass der Versuch einer Neudefinition gescheitert war, lässt sich auch daran erkennen, dass Billy Drago dort wieder den Klischeebösewicht ohne jegliche menschliche Regung spielen durfte, nachdem man ihn in HERO gegen den Strich als Psychiater besetzt hatte.

A: Genau. Diese Entwicklung wird in den folgenden Filmen noch auf die Spitze getrieben, wenn es im Grunde nur noch darum geht Chuck Norris und die Figuren, die er spielt, regelrecht mythologisch aufzuladen. In HITMAN kehrt er nach sekundenlangem klinischem Tod ins Leben zurück und wird danach ein anderer. In HELLBOUND legt er sich als Polizist mit Luzifer höchstpersönlich an und in FOREST WARRIOR wird er schließlich zu einem Geist, der durch die Wälder huscht. Sehr interessant finde ich auch noch die von Stefan erwähnte Erhaltung eines Status Quo. Diese Symmetriegedanken werden im Actiongenre oft durch Konservativität repräsentiert bzw. dadurch, einen Ausgleichszustand zu erzielen, in dem jede Untat durch eine Tat ausgeglichen werden muss. Dies ist einer der Gründe, warum der Bösewicht im Actiongenre am Ende häufig durch eine Explosion umkommt. Was er vielen anderen angetan hat, kommt jetzt tausendfach auf ihn zurück. Der Ausgleich muss ihn zwangsläufig „in Fetzen reißen“. An dieser Stelle möchte ich Stefan sehr für die Zusammenarbeit danken. Er hat unsere Gesprächsrunde mehr als bereichert und durch sein umfassendes Wissen zum Thema die Grenzen eines solchen Blogs aufgezeigt. Leider konnten wir nicht auf alles im Detail eingehen, haben dem ein oder anderen Leser aber vielleicht ein paar interessante Denkanstöße gegeben.

STEFAN: Ich habe zu danken! Denn der Serienmörderfilm der 1980er Jahre ist in meiner Forschungsarbeit etwas unterrepräsentiert gewesen. Das liegt vor allem daran, dass Film-Serienmörder zu jener Zeit vor allem durch den so genannten „Slasherfilm“ repräsentiert wurden. Die nicht allzuvielen „echten“ Serienmörderfilme (also solche, in denen der Täter kein übernatürliches Monster ist), sind rar gesäät. Da wunderte es mich gleich doppelt, dass ihr mit fünf Filmexemplaren aufwarten konntet, die zudem noch aus dem Genre des Actionfilms stammen. Der Serienmörderfilm selbst bildet ja kein eigenes Genre, sondern ist ein progressiver, fortlaufender Diskursstrang innerhalb der Geschichte verschiedener Filmgenres. Ihn im Actionfilm der 1980er-Jahre auf diese Weise vertreten zu finden, hat einige meiner zentralen Thesen bestätigt und eine sehr bereichernde Perspektive für mich eröffnet. Eines der von Beginn des Serienmörderfilms an tradierten Topoi zeigt besipielsweise eine stete Verundeutlichung zwischen Gut und Böse, Täter und Ermittler – sowohl in moralischer als auch in psychopathologischer Hinsicht. Das haben alle fünf hier besprochenen Filme mehr als deutlich vorgeführt. Zudem bringt der Filmserienmörder auch hier (s)ein festes Inventar an Darstellungskonventionen aus der Filmgeschichte mit, die in den besprochenen Filmen in seltener Reinheit zu sehen sind; angefangen bei der Inszenierung des Täters und seiner Taten als „Skandal der Vernunft“ bis hin zu formalästhetischen Darstellungsweisen, narrativen Klischees oder Doppelkodierungen (bis hin zur Selbstreflexivität, wie wir sie in HERO gesehen haben). Eine für mich ganz neue Perspektive auf den Serienmörderfilm rührt vor allem aus der Konfrontation des Filmtäters mit dem Actionhelden her: Hier zeigen sich Körperdarstellungen, wie sie sich im Serienmörderfilm zuvor nur sehr selten in solcher Klarheit finden. Der „Kampf“ des Guten gegen das/den Böse/n kulminiert in diesen Filmen (vor allem denen mit Chuck Norris) in einer Explizitheit, die selbst dem einfachsten Zuschauergemüt deutlich macht, um welch eine Gefahr es sich beim Filmserienmörder handelt – dieser steht ja nicht allein für die Bedrohung des Einzelnen, sondern für ein ganzes Bedrohungsszenario, das sich gegen die Moderne an sich richtet und das durch ihn im wahrsten Sinne des Wortes „verkörpert“ wird, wie der Actionheld all die Reinheit, Macht und Richtigkeit jener Moderne zu verkörpern versucht, gegen die sich das Serienmörder-Prinzip wendet. Dass die Helden selten psychisch und/oder physisch unbeschadet aus dieser Konfrontation hervorgehen, zeigt, wie intelligent die hier betrachteten Action-Serienmörder-Filme auf der Sub- oder Meta-Ebene eigentlich sind.