Donnerstag, Mai 31, 2007

Zur Untermiete

Weil die Zusammenarbeit mit Stefan bei DAS STUMME UNGEHEUER nicht nur überaus fruchtbar war, sondern beiden Seiten auch nicht gerade wenig Spaß bereitet hat, haben wir uns ganz spontan dazu entschlossen, sie für die Dauer unseres Serienmörder-Blocks fortzusetzen. Unseren nächsten Einsatz als Trio bestreiten wir demnächst mit J. Lee Thompsons EIN MANN WIE DYNAMIT.

Montag, Mai 21, 2007

Der Feind im Inneren

Das stumme Ungeheuer (Silent Rage)
USA 1982
Regie: Michael Miller, Drehbuch: Joseph Fraley, Edward Di Lorenzo (uncredited), Kamera: Robert C. Jessup, Neil Roach, Musik: Peter Bernstein, Mark Goldenberg, Katie Sagal, Schnitt: Richard C. Meyer
Darsteller: Chuck Norris (Sheriff Dan Stevens), Ron Silver (Dr. Tom Halman), Steven Keats (Dr. Phillip Spires), Brian Libby (John Kirby), Toni Kalem (Alison Halman), William Finley (Dr. Paul Vaughn), Stephen Furst (Charlie)

Synopsis: Dem in psychiatrischer Behandlung befindlichen John Kirby brennen eines Tages die Sicherungen durch: In einem heftigen Amoklauf bringt er seine Vermieterin und einen Nachbarn um und kann nur durch mehrere Schüsse gestoppt werden, als er sich der Verhaftung durch Sheriff Stevens widersetzt. Anstatt den Gehirntoten so einfach sterben zu lassen, benutzen ihn die Ärzte Halman, Spires und Vaughn für ein Experiment: Sie injizieren ihm ein Mittel, dass seine Selbstheilungskräfte immens beschleunigt und potenziert. Leider geht dieser Schuss nach hinten los, denn nun sieht sich das kleine Städtchen einer unverwundbaren Killermaschine gegenüber ...

FUNKHUNDD: DAS STUMME UNGEHEUER bildet einen idealen Übergang vom zuletzt besprochenen RETALIATOR zu unserem neuen Serienkiller-Block. Auch hier greift die Wissenschaft in Prozesse ein, die sie nichts angehen, ignoriert und überschreitet jegliche bestehende Moral und kreiert so letztlich ein Monster, über das sie keine Kontrolle mehr hat. DAS STUMME UNGEHEUER ist leider massiv unterschätzt und etwas in Vergessenheit geraten. Wohl auch, weil es sich bei Millers Film nicht um einen Actionfilm im eigentlichen Sinne handelt. Man merkt DAS STUMME UNGEHEUER dann auch deutlich an, dass die Macher einige Probleme damit hatten, Norris’ Filmpersona in diesen Stoff zu integrieren, denn die wenigen klassischen Norris-Szenen, wie die saftige Kneipenschlägerei mit einer Rockergang, haben nur wenig Bindung zum restlichen Geschehen. Es überwiegt ganz klar der Horroranteil, der dem Film dann auch seine wirklich herausragenden Momente beschert und ihm einen kleinen Sonderstatus im hier besprochenen „Männerkino“ einräumt.

DER AUSSENSEITER: Der Film eignet sich auch deshalb in der Folge zu RETALIATOR, weil in Millers Film die wissenschaftlichen Aspekte reine Staffage sind, um vor deren Hintergrund wieder die üblichen Fragen über Moral und Ethik eines solchen Tuns aufzuwerfen. Von der Nüchternheit des zuvor besprochenen Filmes ist hier nichts zu merken, vielmehr geht es, wertfrei gemeint, um das spekulative Ausbeuten der Angst vor einer ihr Handeln nicht abschätzenden Wissenschaft und die Sünde, die dieses Sich-an-der-Natur-Vergehen bedeutet. Die Dispute der opponierenden Wissenschaftler erscheinen daher auch weniger präzise als mehr wie Geschwafel. Es ist doch stärker ein Gefühlsfilm, auch wenn er sich sehr kalt und unnahbar gibt. Wenn wir beim äußeren Gerüst anfangen, lässt sich erkennen, dass DAS STUMME UNGEHEUER eine bunte Mischung aus Straßenwestern mit Hillbilly-Elementen, Horror- und Science-Fiction-Film mit Mad-Scientist-Bezug sowie Kampfsportfilm darstellt. Allerdings kann man ihn aufgrund der narrativ nicht ineinander laufenden Genrebezüge eher als Genrebastard, denn als wirklich funktionierenden Genrehybrid bezeichnen. Ähnlich dem tautologischen Prinzip endet der Film mit seinem Anfang: der Konfrontation zwischen Sheriff Stevens und dem Killer John Kirby. Dazwischen scheinen nahezu zwei voneinander getrennte Geschichten erzählt zu werden, die nur selten Berührungspunkte aufweisen.


STEFAN: Mich hat vor allem diese „Mischung“, von der der Außenseiter spricht, fasziniert. Die Erzählstränge aus Mad-Scientist-SF, Horror-/Slasher-Film und natürlich Martial Arts laufen bis zum Ende ja augenscheinlich vollständig nebeneinander her. Das Cross-Over, das der Film versucht zu sein – wohl auch um einige der populärsten Männerfilmmotive kassenträchtig zu machen –, bildet er aber auch in seiner Dramaturgie ab. Mir kam das beinahe schon wie eine subtile Form der Selbstreflexivität vor, dass die Sequenzen erst ziemlich pur einem Genre zuordenbar bleiben und sich gegen Ende immer mehr miteinander vermischen. DAS STUMME UNGEHEUER ist ein Film, der seine Genre-Hybridität in sich selbst noch einmal abbildet: Da bewegen sich Kino-Welten aufeinander zu. Von daher hat mir der dezente Einsatz vor allem der Chuck-Norris-Action sogar sehr gut gefallen. Ich kann mich an keinen Norris-Film erinnern, in dem er so wenig Action, aber so viel emotionale und sogar Liebes- und Sexszenen hatte. Es ist ja nicht so, dass er das nicht darstellen könnte. Das sieht man ja sehr deutlich. Auch wenn sein Mienenspiel – etwa in der Szene, als er seinen sterbenden Buddy entdeckt – nicht gerade facettenreich ist: Man kauft es ihm doch ab. Und dieser „konstruktivistische Anfall“ seiner Freundin, die nach der Liebesnacht sofort wieder an der Möglichkeit einer Beziehung mit ihm zweifelt. Da reagiert er sowas von souverän! Aber reden wir nicht von der Liebe und Verständnis, hier geht es um Mord und Wahnsinn, oder?

FH: Schön, dass der Kelch bei „Mord und Wahnsinn“ sofort an mich weitergereicht wird! Diese beiden schönen Aspekte des menschlichen Daseins werden schon in der Auftaktsequenz, die bereits mit den Credits einsetzt und mehrere Minuten lang ohne Schnitt auskommt, ausgelotet. Die bedrohliche Stimmung dieser Sequenz trägt den Film dann auch über den eher harmlosen Romantik-Subplot und die Kickbox-Action, auf die ihr eben eingegangen seid. Der Film beginnt mit dem Blick auf eine Art Kirchenfenster, neben dem die Credits auf schwarzem Hintergrund platziert sind. Mit Ende der Credits wird zunächst diese schwarze Maske entfernt und gibt den Blick auf eine schmucklose Wand frei, dann schwenkt die Kamera nach unten und zeigt uns einen karg eingerichteten, schummrigen Raum, in dem John Kirby schwitzend und um Fassung ringend auf dem Bett liegt. Miller spielt in der Folge zusammen mit seinem Kameramann sehr häufig mit einer solchen Veränderung des Raums: Da eröffnen sich ständig neue Perspektiven, wird die Aufmerksamkeit vom Bildvorder- auf den Bildhintergrund verschoben. So etwa auch im Anschluss, wenn Kirby, den das Geschrei spielender Kinder in den Wahnsinn treibt und der selbst merkt, wie er die Kontrolle verliert, aus dem Haus in den Garten geht, um eine Axt zu holen, und die Kamera bei seiner Vermieterin im Hausinneren bleibt. Wir sehen das drohende Unheil im Hintergrund durch ein Fenster, während es für die Protagonisten zunächst unsichtbar bleibt. Diese subtile Bildgestaltung und -dramaturgie bleibt beinahe ausschließlich den Szenen um Kirby vorbehalten, während der Strang um Chuck Norris/Dan Stevens auch aus einer damals populären Fernsehserie wie KNIGHT RIDER stammen könnte.

A: Das vermeintliche Kirchenfenster zu Beginn führt mich jedes Mal in die Irre und greift der Stimmung des Filmes voraus. Es geht, wie bereits angedeutet, eben nicht um eine analytische Auseinandersetzung mit der Frage, ob Menschen den genetischen Code manipulieren dürfen, sondern mehr um eine religiös-metaphysische Ebene. Nachdem uns die Kamera die Auflösung schenkt, befinden wir uns nicht in einem, durch das farbige Fenster und die unheilschwangere Synthiemusik suggeriert, Zimmer der Geistlichkeit, sondern im Zimmer eines Geistlosen, der lediglich wirr zusammengestellte Zeitungsausschnitte und ominöse Fotografien an seiner Wand hat und sich wie im Fieberwahn hin und her wälzt. Es fällt bereits in den ersten Minuten auf, dass die Dissoziationen des Filmes sich von Anfang an wie ein roter Faden durch selbigen ziehen. Nicht nur im Hinblick auf die später erkennbaren Genreüberlappungen, sondern auf nahezu allen filmischen Ebenen. Die Gestaltung von Kirbys Zimmer hat etwas Sakrales, aber nein, wir befinden uns nur in einer Absteige irgendwo im mittleren Südwesten, die Tonspur versorgt uns mit permanentem Maschinengewehrsalven, die technisch sehr überzeugend klingen, doch das Geschreie der Kinder macht deutlich, dass es sich nur um ein Kriegsspiel handeln muss. Kirby wird von einem der Kinder ans Telefon gebeten, doch der Zuschauer muss sich erstmal klar machen, dass es sich nicht um Kirbys Eigenheim handelt und er in diesem Hause, das einen familiären Eindruck macht, ein Fremdorganismus ist. Der Grund, warum dies alles vom Zuschauer erstmal entschlüsselt werden muss, liegt in der von Funk schon erwähnten Kameraführung. Die Kamera, die in ihrer Raumerfassung dem menschlichen peripheren Blick ähnelt, weswegen ein Achsensprung befremdlich wirkt, da der Mensch am Hinterkopf keine Augen hat, gewährt uns nur so viel wie wir selbst als Mensch in diesen Räumlichkeiten wahrnehmen könnten. Somit sind wir ihrem suggestiven Blick ausgeliefert wie Kirby seinem Irrsinn ausgeliefert erscheint und können uns nicht in eine gesicherte Position begeben. Eine Distanz wird erstmalig aufgebaut als Sheriff Stevens eintrifft und Norris aus der Untersicht gefilmt geradezu majestätisch den Tatort betritt.

STEFAN: Ja, die Exposition ist exzellent. Nicht nur wird die Eskalation der Bedrohung hier für den Zuschauer regelrecht körperlich nachvollziehbar, auch ist das Irrewerden Kirbys erstaunlich prägnant inszeniert. Das kurze Telefonat mit seinem Arzt, die Großaufnahmen seines schwitzenden, angstverzerrten Gesichts und dann der Absturz in eine Art Apathie. Und das vermittelt alles die Kamera. Überhaupt sucht die Kamerarbeit des Films ihresgleichen. Das merkt man an etlichen Szenen. Da war für mich die Schockszene, als Kirby aus dem Hintergrund mit der Axt ins Haus geht (gefilmt durch das Küchenfenster, während im Vordergrund die Mutter mit den Kindern oder irgendjemandem spricht) und dann seine zielstrebige Verfolgung, die vor der Badezimmertür endet. Wie Kirby die Tür hier mit der Axt öffnet und dann durch den Riss schaut, das zitiert natürlich SHINING, aber kurz vorher gibt es eine ganz kurze Szene, in der der Wahnsinn des Täters für mich noch viel besser filmisiert ist: Der Typ mit dem Unterhemd drischt Kirby einen Stuhl auf den Rücken, dieser hält nur kurz in seiner Türöffnung inne, dreht sich, schlägt dem Angreifer die Axt in die Stirn und macht sich sofort wieder ans Aufhacken der Tür. Ich glaube, eine so knappe Exposition psychischer (Zer)Störung habe ich seit jener legendären Tür-Szene in THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (Leatherface erschlägt einen der Teenager mit einem Hammer, zerrt ihn in seinen Schlachtraum und reißt die Metallschiebetür zu – knapp 5 Sekunden Montagestakkato) nicht gesehen. DAS STUMME UNGEHEUER scheint auf den ersten Blick mit dieser Exposition zu jener Sorte Serienmörderfilmen zu gehören, in der keinerlei Empathie für den Täter gestiftet wird, in der die Pathologie nur kurz angerissen und dann mit der Bekämpfung begonnen wird – hierin wie in vielem ist er Carpenters HALLOWEEN recht ähnlich. Das stimmt aber nur halb, denn Kirby ist eine überaus tragische Person. Nicht nur ist er nicht selbst schuld an seinem Amoklauf, auch wird er ja im Verlauf der Handlung immer mehr zum Instrument der Mad Scientists. Dass sich die Figur ständig auf der Linie zwischen den (bösen) Killern des Slasherfilms und den (kranken) Mördern des eher empathischen Serienmörderfilms bewegt, liegt an der Mimik von Brian Libby (den ich übrigens in Stephen Kings NIGHTSHIFT COLLECTION kennen gelernt habe).

FH: Dieser Axtmord, den Stefan anspricht, ist auch deshalb so beeindruckend, weil er so beiläufig passiert und ganz ohne brachiale Gewalt und Overacting in Szene gesetzt ist. Kirby entledigt sich des Mannes so, wie er sich einer lästigen Fliege entledigen würde, mit einer kurzen, präzisen und somit ungemein pragmatischen Bewegung. Das verleiht der Szene einen immensen Realismus. Es wird nicht nur verdeutlicht wie stark dieser Kirby in seinem Wahn ist, sondern auch mit welcher Emotionslosigkeit er agiert. Das „stumm“ bzw. „silent“ aus dem Titel erscheint mir da durchaus ambivalent: Nicht nur sagt Kirby nach dem Telefonat zu Beginn kein einziges Wort mehr, auch IN ihm spricht nichts mehr. Er ist die jeglicher menschlicher Regung, aber auch jeder Vernunft beraubte Maschine. Der moralisch-religiöse Diskurs dominiert somit nicht nur den Handlungsstrang um die Wissenschaftler und ihre Experimente, stellt die üblichen Fragen nach ihrer Verantwortung und die Grenzen menschlicher Hybris, sondern setzt sich auch in der Zeichnung des „Ungeheuers“ als das Andere, Dunkle fort. Die zahlreichen Tür-Szenen sowie das Finale am Brunnenschacht lassen sich sehr durchgehend als Metapher dafür lesen. Kirby wird als das, was „dahinter“, „im Verborgenen“ lauert, gezeichnet. Und entledigen kann man sich seiner, indem man ihn tief in der Dunkelheit vergräbt, einem Brunnen – wo er aber nur zeitweise entsorgt ist und jederzeit wieder auftauchen kann wie die Schlusseinstellung klar macht. Für diese Interpretation spricht auch die Darstellung Kirbys als Durchschnittstyp. Zwar bringt auch er eine recht beeindruckende Physis mit, mit den maskierten Kampfzombies des Slasherkinos hat er dennoch nur wenig gemein. Auch seine psychische Disposition, die ihn erst umkippen lässt, wird nicht weiter spezifiziert: Sie könnte jeden treffen.

A: Kann mich euren Ausführungen nur anschließen und führe sie noch in meinem Sinne weiter. Der Axtmord macht buchstäblich auf einen Schlag deutlich, in was für einer Realitätskonstruktion wir uns befinden. Hier gibt es keine unrealistischen Splatterszenarien. Der Nachbar bekommt die Axt kurz in den Schädel gerammt, dreht sich noch mit einem zerstörten Gesicht zur Kamera und bricht dann unspektakulär zusammen. Dies verleiht dem Film eine ungewöhnliche, weil authentische Härte und nicht zuletzt durch solch trockene Elemente erweckt der Film den Eindruck eines Kammerspiels. Die von Stefan ins Feld geführte Verbindung zu Carpenter lässt sich zumindest soweit knüpfen, dass Miller den Zuschauer mit einem ähnlichen Minimalismus versorgt. Die Tonspur arbeitet relativ geräuscharm, doch wenn welche ertönen, sind sie sehr klar wahrnehmbar und präzise eingesetzt. Der Minimalismus beim Schnitt produziert eine permanente Sogwirkung und treibt den Ego-Blick, den die Kamera im Slasher-Kino auf die Situationen wirft, auf die Spitze. John Kirby läuft nach seiner endgültigen Transformation in ein Ungeheuer – und damit unterscheidet er sich gravierend von Michael Myers, dem das Ungeheuerliche inhärent ist – in einem Overall herum, der die Gleichförmigkeit seiner Figur als Identitätsloser unterstreicht. Das Ganze kulminiert dann in der Musik, die den Minimalismus Carpenters eindringlicher Kompositionen regelrecht zu zitieren scheint. Weiterhin möchte ich noch zwei weitere Punkte verbinden, die von Funk erwähnt wurden. Der Aspekt des „Stummen“ bzw. des „Silent“ und der Physis Kirbys, die eine Externalisierung seiner „Wut“ oder eben „Rage“ darstellt. Denn schon der Originaltitel spielt auf den zentralen Punkt der Disposition Kirbys an: Wut ist eine der sieben Basisemotionen wie Paul Ekman sie definiert hat und kann in ihrer Funktion als einer der adaptiven Ur-Motoren für menschliches Verhalten gesehen werden. Würde man sie in ihrer Reinform extrahieren, wäre sie entfernt von jeglichem adaptivem Effekt und würde innerhalb eines sozialen Gefüges einzig destruktiv wirken. So bei Kirby, dessen Ausbruch reine, unkontrollierte Wut ist, die nur kurzzeitig befriedigt werden kann. Kirbys zufriedenes, geradezu infantil erfreutes Gesicht macht dies deutlich, wenn er es endlich geschafft hat seine Nachbarin mit der Axt zum Schweigen zu bringen. Nach kurzem Innehalten macht er sich dann ans weitere Mordwerk, welches Sheriff Stevens nur unter größten Mühen unterbinden kann. Die reine, ungebremste Wut – ein einziger destruktiver Energiestrahl – schenkt Kirby sogar so viel Kraft, dass er Handschellen zerreißen und Autotüren mit den Füßen regelrecht wegsprengen kann. Die an ihm durchgeführten Experimente, die höhere Gehirnfunktionen zerstören, scheinen eben dieses auf das Kleinhirn fokussierte Verhalten zu begünstigen. So erfährt die „stumme Wut“ eine Dopplung, da sie für gewöhnlich nur in uns schlummert, Kirby sie aber auch nach Außen lebt. Doch, um diesen Bogen auch noch zu spannen, ist Stevens von einer ähnlichen Ur-Kraft erfüllt. Im Gegensatz zum Amok laufenden Kirby hat er diese allerdings kanalisiert, was sich in seiner perfekt beherrschbaren Kampftechnik äußert, mit der er eine ganze Rockerbande „aufmischen“ kann.

STEFAN: Die Wut als reine Emotion zu figurieren ist in der Tat eine der herausragenden Leistungen des Films. Damit wird die Dichotomie der gegeneinander kämpfenden Seiten nicht nur besonders deutlich (auf der Seite Dans, Charlies und Alisons steht ja eher ein Emotionsmix – vor allem aber Unsicherheit über den eigenen emotionalen Haushalt), die Konfrontation der (unnatürlichen) reinen Emotion mit der (sehr menschlichen) gemischten, zeigt auch, wie „anders“ Kirby ist. Und dennoch will ich mich der Analyse des Außenseiters nicht vollständig anschließen, denn da ist immer noch eine sehr tiefe Tragik in der Darstellung des Mörders. Die wird, wie ich oben schon geschrieben habe, nicht nur durch seine prinzipielle Unschuldigkeit, sondern vor allem auch durch den stets leidvollen Gesichtsausdruck der Figur deutlich. Insofern ist der Kampf, den Dan gegen den Killer anstrengt, für mich auch wesentlich ambivalenter, als er oft in Slasher-Filmen dargestellt wird. Wen Dan hier am Ende ins Jenseits befördert (bzw. um mal einer ganz kruden psychoanalytischen Topik, die bei der Konzeption solcher Drehbücher aber immer eine Rolle gespielt hat, das Wort zu reden: zurück ins „Unterbewusstsein“ kickt), ist gar nicht so klar. Er selbst, das hatten wir ja schon festgestellt, ist komplexer gezeichnet als Chuck-Norris-Figuren es zumeist sind. Er ist kein Stellvertreter des unbedingt „Guten“, sondern eher ein „Normopath“; Sein Kampf gegen Kirby – so könnte man interpretieren – ist auch ein Kampf gegen seine eigenen Aggressionen, die sich in „Das stumme Ungeheuer“ ja stets urplötzlich entladen und total sind (weder die Frau noch der Wirt der Kneipe scheinen von Dan ja verschont zu werden). Eine derartige Lektüre der Filmcharaktere als Archetypen emotionaler Zustände ist natürlich naheliegend, damit operiert jeder halbwegs intelligente Serienmörderfilm: Der Ermittler kämpft immer auch gegen etwas in sich selbst; der Serienmörder ist die sichtbar geworden Abspaltung dessen. Das ist ein Topos, der sich im Film noir entwickelt hat.
Ich möchte aber noch einmal auf eine von den von Funkhundd erwähnten Türszenen zu sprechen kommen, weil mir diese einerseits besonders am Herzen liegen und andererseits, weil ich diese spezielle Szene erst beim erneuten Gucken in ihrer unglaublichen Affektivität wiederentdeckt habe: Ungefähr bei Minute 59 (ich beziehe mich auf die deutsche VHS), nachdem Kirby den Arzt ermordet hat und dessen Frau auf den Dachboden geflohen ist, versteckt sich Kirby hinter der offenen Tür zu diesem Dachboden. Als die Frau meint, die Luft sei rein und den Dachboden verlässt, wird sie von Kirby erwischt, als dieser die Dachbodentür schließt. Er greift der Frau von hinten ins Gesicht und schleudert sie mit voller Wucht mit dem Hinterkopf gegen die Wand. Die Inszenierung dieses Mordes ist unglaublich intensiv. Die Kamera fährt in derselben Geschwindigkeit, wie Kirby ihren Schädel gegen die Wand schmettert, hinterher. Interessant scheint mir nun einerseits, dass das Böse hier nicht mehr hinter einer verschlossenen, sondern hinter einer offenen Tür lauert und andererseits, dass wir in den Rollen des Opfers, des Zuschauers und des Täters gleichzeitig stecken: Wir wissen zuerst nicht, dass Kirby hinter der Tür steht und werden zusammen mit der Frau von ihm überfallen, als er die Tür schließt, bekommen wir ihn zu sehen, während die Frau ihn nicht sieht – unsere Beteiligung wird vom geschockten Opfer zum Mitwisser verlagert. Als Kirby sie dann gegen die Wand schlägt und der Kamerablick im selben Tempo folgt, werden wir schließlich zum Mittäter: Unser Blick presst sozusagen noch nach. Habt ihr die Szene in Erinnerung? Wie hat die auf euch gewirkt?

FH: Ja, diese Szene hat auch bei mir eine ziemlich starke Wirkung hinterlassen. Meiner Meinung nach ist das tatsächlich die beste Tür-Szene des Films: zum einen wegen ihrer enormen filmischen Präzision, in der dort der Schock (der Killer, der plötzlich hinter der offenen Tür zum Vorschein kommt) und die „Auflösung“ (das Opfer wird ermordet) in einem Bruchteil von Sekunden ineinanderfließen, zum anderen, weil dort eine clevere Umdeutung des Tür-Bildes vorgenommen wird, wie Stefan ja schon erwähnt hat. Da wird äußerst geschickt mit der Erwartungshaltung des Zuschauers gespielt, der sich schon in Sicherheit wiegt, nachdem die Türschwelle übertreten wurde. Ich möchte aber gern auch noch etwas zur tragischen Gestaltung Kirbys sagen. Auch ich habe ihn so empfunden. Er ist ja gleich in zweierlei Hinsicht ein Gefangener im eigenen Körper: Schon zu Beginn, wenn er seinem Doktor am Telefon um Hilfe anfleht und sagt „I’m losing it“ – eine Formulierung, die den Nagel auf den Kopf trifft – und förmlich in einem Stadium der Wut einfriert, verliert Kirby den Kampf gegen die in ihm aufwallenden Emotionen – noch ist er aber „nur“ ein Kranker mit einer zumindest hypothetischen Chance auf Heilung. Sein Zustand wird aber von den Wissenschaftlern noch einmal konserviert und dramatisiert, indem sie es ihm unmöglich machen zu sterben. Kirby ist gezwungen im Zustand der äußersten unkontrollierbaren Wut zu verharren. In dieser Eigenschaft hat er eine Menge mit den Untoten des gesellschaftskritischen Zombiekinos eines Romero gemein. Vor diesem Hintergrund erscheint Kirbys telefonischer Hilferuf zu Beginn geradezu als Äquivalent zur Bitte des Infizierten, ihn mit einem Kopfschuss zu erlösen. Deswegen ist auch das für jeden Genrekenner eigentlich vorhersehbare und wenig originelle shock ending so effektiv: nicht weil der von Kirby ausgehende Terror sich fortsetzen und weitere Opfer finden wird, sondern weil es für diese Figur keine Erlösung gibt. Die Deutung des Brunnens als „Unterbewusstes“, in das das Böse verdrängt wird, mag durchaus vulgärpsychologisch sein. Aber das passt ja auch wieder ganz gut zu diesem Film. Kirby wird auf jeden Fall in seinem Brunnenschacht lauern, bis sich für ihn eine Möglichkeit ergibt, wieder hervorzubrechen ... Wenn man Dan und Kirby als Spiegelfiguren begreift, wie Stefan das vorschlägt, so muss man unbedingt auch den tumben Charlie in diese Rechnung aufnehmen. Auch der ist ja ein Verwandter Kirbys und mit dem Gemüt und Intellekt eines Kleinkindes ausgestattet, das in einem adipösen Leib beheimatet ist. Dass dieser Minderbemittelte zum Hilfssheriff werden konnte, wird jedoch keineswegs zu Comic-Relief-Zwecken ausgeschlachtet, sondern entwickelt ebenfalls höchstens eine tragikomische Note.

A: Absolut! Gerade die von naiver Brutalität erfüllte Geschichte des Deputys und Stevens lakonisches Lächeln lassen die überall schwellende Aggression spüren. Die Tragik Kirbys hingegen ist ja gerade bzw. muss ein essenzieller Bestandteil der figurierten Emotion sein. Nur ein menschliches Wesen ist in der Lage, solcherlei Gefühle zu erwecken und ebenso im Umkehrschluss sie selbst zu empfinden. Da es sich bei der von Kirby empfundenen Wut um eine Emotion handelt, die den reflexiven Selbstbezug benötigt, um überhaupt als solche deklariert werden zu können, muss Kirby Mensch sein. Er ist den Prozessen in seinem Inneren ausgeliefert, wie während des Telefonats deutlich wird, und kann sie durch exogene Medikamentierung nicht länger unterdrücken. Allein dieser Versuch, die destruktive Wut unterdrücken zu wollen, um sich und andere zu schützen, muss Sympathien wecken bzw. Mitleid für Kirby empfinden lassen. Bei einer Figur wie Jason Vorhees wäre dies undenkbar. Weiterhin versteht sich Wut als Basisemotion nicht nur als die empfundene Emotion, sondern vielmehr als genetische Determinante eines über Jahrtausende entstandenen Selektionsprozesses, die von allen Basisemotionen neben der Furcht die höchste Überlebenschance bietet. Wird Wut als Emotion aktiviert, übernehmen automatisch die zerebral niederen kognitiven Systeme die Funktionen des Körpers, Adrenalin und Noradrenalin werden verstärkt ausgeschüttet, der Körper wird schmerzunempfindlicher, es kann mehr Kraft mobilisiert werden, das logische Denken ist vermindert. Und hier liegt nun die größte Furcht: der Kontrollverlust, brillant von Libby zu Beginn in seinem Mienenspiel widergegeben. Wenn dies geschieht, übernehmen Mechanismen aus der Urzeit die Führung, was zu Verhaltenweisen führen kann, zu denen unsere Persönlichkeit keinen Bezug aufbauen kann, da sie sich in der Regel unserem Bewusstsein entziehen. Hier haben wir nun einen tatsächlich greifbaren Brückenschlag, für die bei Filmanalysen oft verwaschene Interpretation vom Unbewussten, denn wenn wir keinen freien Willen mehr haben und die einfacheren, genetisch festgelegten Determinanten die Kontrolle haben, kommt es zu einem Rücksturz ins archaisch Animalische. Die „Bestie Mensch“, der Fall in den Urschlamm, dem wir entstammen. Dies treibt die Tragik Kirbys dann auf die Spitze, wenn er als Affe mit Menschengesicht zu sehen ist. Als er Stevens Freundin im Zimmer seines Erschaffers in die Ecke drängt – der Wissenschaftler liegt als symbolischer Vater Kirbys tot zwischen beiden – grinst er mit einer Mischung aus Lüsternheit und Dümmlichkeit und bewegt sich wie ein Schimpanse bei Paarungsriten auf sie zu. Wie Funk schon meinte, verharrt Kirby durch die Experimente der Wissenschaftler, von außen abgestumpft und emotionslos erscheinend, im Zustand der Wut, die ihn, ganz im evolutionären Sinne, töten lassen muss, um zu Überleben. Doch der Sexualtrieb, noch substruktureller als die Basisemotion Wut, schafft dies bei Stevens Freundin außer Kraft zu setzen. Kirby möchte sie ganz offensichtlich begatten. Dem muss von Seiten Stevens Einhalt geboten werden. Stevens und Kirby, was Stefan schon meinte, trennt nicht viel außer der hauchdünnen Trennlinie, die das Mäntelchen Zivilisation anbietet. Stevens hat adäquate Möglichkeiten gefunden, seine Wut nicht nur zu kanalisieren, sondern auch für sich und andere nutzbar zu machen. Er übt einen Beruf aus, der automatisch zu Gewalt führen muss, bzw. Bestandteil der Arbeit ist, er beherrscht hervorragend eine Kampftechnik, die zu den größten Errungenschaften einer asiatischen Hochkultur zählt, er hat sexuelle Ausstrahlungskraft und die lang gefilmte Liebesszene zwischen seiner Freundin und ihm macht deutlich, dass er seinen Trieb sowohl ausgiebig befriedigen kann und dabei sogar noch positiv für seine Partnerin ist. Stevens hat seine Wut in den Dienst der Gesellschaft stellen können, womit er stereotyp für alle Hauptfiguren des Männerfilms wird. (man versuchte Norris bis McQUADE – DER WOLF ja auch noch als Liebhaber aufzubauen, was aber nach MISSING IN ACTION eingestellt wurde) Das Türenmotiv funktioniert als Symbol für die unterdrückende Zivilisation. Die Tür, eine Erfindung der Zivilisation und in ihrer rechtwinkligen Konzeption, ihrem Schließmechanismus und ihrer passgenauen Form äußerst unnatürlich, versucht draußen, oder eben eher drinnen zu behalten, was nicht rauskommen darf und wovor der Mensch die größte Angst hat. Ein Verlust von Kontrolle und ein Rückfall in archaische Determinationskonzepte, doch hinter jeder Tür, egal wie viele wir noch dazwischen glaubten, oder hinter uns geschlossen hatten, kann es uns einholen. Die Angst vor dem ES, dem Unbewussten oder wie man es auch immer nennen möchte, erhält hier plötzlich etwas ganz Konkretes. Mit ähnlicher Geschwindigkeit wie das Zentralnervensystem die Wut entstehen lässt, wogegen komplexes rationales Denken im Sekundenbereich geradezu langsam wirkt, rasen wir mit der Kamera und dem Kopf des weiblichen Mordopfers auf die Wand zu. Eine Verdrängung Kirbys kann somit nicht durch eine herkömmliche Tür erfolgen, sondern er muss auch im wörtlichen Sinne in die tiefsten Tiefen verbannt werden. Die Ausführungen zur Basisemotion machen deutlich, dass es sich damit keinesfalls um eine nur „vulgärpsychologische“, leider auch viel zu häufig bemühte, Metapher handelt, sondern um den verzweifelten Versuch des Menschen an sich, seine ihm unliebsamen Emotionen und die mit ihnen einhergehenden Konsequenzen zu unterdrücken. Dies geht folgerichtig nie lange gut.

STEFAN: Deine kulturhistorische, anthropologische Deutung des Türmotivs ist überaus bestechend! (Ich muss direkt an einen Essay Peter Handkes über Türschwellen denken.) Ich nehme die beiden bislang von mir nur marginal berücksichtigten Figuren(gruppen) am Schluss doch noch einmal auf, weil Funkhundd sie in Erinnerung gerufen hat: der dicke Tollpatsch Charlie und die Mad Scientists. Man muss ja schon beinahe von einem logischen Bruch reden, wenn man mit denen konfrontiert wird: ein Hilfssherrif, der zu keiner Zeit die Lage richtig einschätzt und auch nicht das Zeug dazu hat, seinen Job auszuführen. Anstelle dessen regrediert er zum kleinen Jungen, ist oral fixiert (vom doppelten Hamburger bis hin zu dem Funk-Gespräch, wo er auch den ihm gezeigten Brüsten auf Liebe schließt) und bringt Dan ständig in präkere Situationen. Die Mad Scientists, deren genetisches Forschungslabor ebenfalls in dieser Kleinstadt situiert ist (!), sind im Prinzip sein Pendant – nur in einem anderen System: Er im Rechtssystem, sie im Wissenschaftssystem. Sie können die Konsequenzen ihres Handelns ebensowenig antizipieren, stellen sich ebenfalls außerhalb der ihnen durch ihren Beruf vorgegebenen moralischen Normen und werden schließlich ebenso Opfer ihrer Handlungen. Bezeichnend sind hier die beiden Sterbeszenen in der Klinik: Charlie stirbt, als er erkennt, was seine Aufgabe ist, ohne ihr gewachsen zu sein; Paul stirbt, als ihm klar wird, was seine Aufgabe gewesen wäre. Innerhalb einer strukturalistischen Interpretation der Kleinstadt als funktionalisierter Raum der Psychogenese und der Figuren als Archetypen für isolierte Charakterzüge stecken Charlie und die Wissenschaftler die Außengrenzen der Normalität ab. Ihr sterben restituiert die Ordnung und in der Mitte stehen – wie ich oben schon angedeutet habe – die beiden Achsen: Dan und Kirby als Antipoden, die zueinander finden müssen. Das ist eigentlich eine typische Monsterfilm-Struktur. DAS STUMME UNGEHEUER ist in dieser Hinsicht für mich ein ganz typischer Monsterfilm, der sehr souverän mit dem Motivinventar umzugehen weiß. Er ist jedoch keineswegs gewöhnlich – und das liegt an der Inszenierung, an den Darstellern und vor allem an dem konstruktiven Zusammentreffen verschiedenen Genreversatzstücke.

Himmelhunde featuring ...

Für unseren Eintrag zu DAS STUMME UNGEHEUER, der - sofern alles nach Plan läuft - nächste Woche unsere Serienkiller-Reihe einläuten wird, haben wir uns zum ersten Mal Verstärkung an Bord geholt: Stefan Höltgen wird unser dynamisches Duo zu einem infernalischen Trio erweitern. Stefan ist freier Journalist (u. a. schreibt er für Schnitt, Telepolis, epd und Splatting Image) sowie Herausgeber des Online-Magazins F.LM - Texte zum Film. Als Administrator von Filmforen.de, unserer gemeinsamen Webheimat, ist er außerdem nicht unerheblich daran beteiligt, dass dieses Blog überhaupt entstanden ist. Was ihn aber vor allem für seine Mitarbeit an unserem Text zu DAS STUMME UNGEHEUER prädestiniert, ist die Tatsache, dass Stefan derzeit seine Doktorarbeit zum Thema "Serienmörderfilme" schreibt (über deren Fortschreiten man sich auf SimulationsRaum informieren kann). Trotz so viel geballter Fachkompetenz prognostizieren Der Außenseiter und ich einen offenen Schlagabtausch und hoffen auf interessiertes und zahlreiches Publikum.

Samstag, Mai 19, 2007

Going out with a Bang!

Nach dem ROCKY BALBOA-Erfolg steht dieses Jahr ein Wiedersehen mit dem zweiten großen, ikonischen Stallone-Helden und wohl der wichtigsten Figur des Actionkinos der Achtzigerjahre an: dem Vorzeigesoldat John Rambo. Der vierte Teil der RAMBO-Serie, schlicht und sehr folgerichtig JOHN RAMBO betitelt, geistert schon seit Jahren durch die News-Seiten von Filmmagazinen, seit letztem Jahr mit deutlich konkreterem Hintergrund. Nach den hitzigen Diskussionen um die jugendfreundliche Gestaltung des neuen STIRB LANGSAM-Films, erscheint der kleine Dreieinhalb-Minuten-Teaser, der jetzt zu besagtem JOHN RAMBO im Netz kursiert, wie der sprichwörtliche Tritt in den Allerwertesten. Stallone scheint es mit diesem Film sehr, sehr ernst zu meinen und es darf gerätselt werden, ob der Film unbeschadet die deutschen Kinos erreicht. Dass Stallones neues Opus allerdings ähnlich kontrovers diskutiert werden wird wie seinerzeit RAMBO 2: DER AUFTRAG und RAMBO III, daran scheint angesichts dieses Videos kaum noch Zweifel zu bestehen.

Den kurzen Film gibt's hier zu begutachten. Das Anlegen von Sicherheitsgurten wird unbedingt empfohlen!

Dienstag, Mai 15, 2007

Frauen und Technik

Retaliator (The Retaliator/Programmed to Kill)
USA 1986
Regie: Allan Holzman, Robert Short, Drehbuch: Robert Short, Kamera: Ernest Holzman, Nitcho Lion Nissim, Musik: Craig Hundley, Jerrold Immel, Schnitt: Michael Kelly
Darsteller: Robert Ginty (Eric Mathews), Sandahl Bergman (Samira), James Booth (Dr. Brock), Paul Walker (Jason), Arnon Zadok (Hassim), Louise Caire Clark (Sharon)

Synopsis: Eine Nahost-Terrororganisation veranstaltet ein Blutbad auf Kreta und nimmt diverse US-Amerikaner als Geiseln. Die amerikanische Regierung schaltet daraufhin Eric Mathews ein, der schon häufiger für sie die Kastanien aus dem Feuer holen musste. Tatsächlich gelingt es ihm, die Geiseln zu befreien und die Topterroristin Samira gefangen zu nehmen. Kaum in den USA angelangt verschwindet diese allerdings unter mysteriösen Umständen. Eric macht sich auf die Suche nach ihr und kommt dem rätselhaften „Cybertron“-Projekt des Wissenschaftlers Dr. Brock auf die Schliche. Mittels moderner Computertechnologie will dieser Samira zur perfekten Kampfmaschine umbauen ...

FUNKHUNDD: Zum Abschluss unserer kleinen Robert-Ginty-Werkschau widmen wir uns einem Film, der in vielerlei Hinsicht idealtypisch für den B-Actionfilm der Achtziger ist. Vordergründig präsentiert sich RETALIATOR als unverhohlener TERMINATOR-Nachklapp, die Nähe zu Verhoevens wenig später entstandenem ROBOCOP legt den Verdacht nahe, dass ein findiger Produzent mit dem Trendthema Kasse machen wollte, bevor es der große Bruder aus Hollywood ganz für sich vereinnahmen konnte. Unter diesem spekulativen Deckmantel verbirgt sich aber ein erstaunlich cleverer kleiner Reißer, der sich auf ungewöhnlich hohem Niveau der Gender-Thematik widmet und die klassische Rollenverteilung des Actionfilms hinterfragt.


DER AUSSENSEITER: Du sagst es. RETALIATOR ist auch ein idealer Abschlussfilm zu unserer Ginty-Reihe, nicht nur, weil er von den besprochenen Filmen als letzter entstanden ist und hier mit einer Cyborg-Frau, die gegen ihre Programmierung verstößt, eine interessante Antagonistin präsentiert, sondern auch, weil Ginty als „Actionfigur“ einen deutlichen Reifungsprozess durchgemacht hat. Er schlägt sich hier nunmehr nicht als verlorener Einzelkämpfer herum, sondern hat eine Familie, um die er sich kümmern muss. Die C.I.A. hat ihn bezeichnenderweise aufs Abstellgleis geschoben und ruft ihn nur noch in absoluten Notfällen. Eric Mathews wird nur noch bei aussichtslosen Fällen und unter viel Kritik vonseiten der Vorgesetzten als Gegenmaßnahme bestimmt.

FH: Dennoch ist er zwischen seinen beiden Filmpersönlichkeiten noch hin- und hergerissen, es fällt ihm sichtlich schwer, ganz Zivilperson zu sein. Zwar hat er keine richtige Lust mehr, für den Staat zu arbeiten, doch ganz zu Hause zu bleiben ist auch nichts für ihn. So klammert er sich an „seinen“ Auftrag, auch als er von diesem abgezogen wird. Er kann nicht loslassen. Im Schoße der Familie erscheint er so unruhig wie ein Raubtier im Käfig. Seiner Frau bleibt nichts anderes übrig, als seinem Treiben taten- und hilflos zuzusehen. Erst ganz am Schluss deutet sich an, dass Mathews seine innere Unruhe überwunden hat, mit der Vergangenheit endgültig abschließen kann: Sein Auftrag ist erfüllt, seine Familie konnte ihm bei der Erledigung seines Jobs als Zuschauer beiwohnen, ihm so endlich einen Teil seines Geheimnisses entreißen und ihm die Absolution erteilen. Es ist ein extrem verwirrender, irgendwie beängstigender und im Actiongenre seinesgleichen suchender Moment, wenn Frau und Sohn mit weit aufgerissenen Augen am Fenster stehen und in einem Zustand zwischen Erregung, Begeisterung und Angst dem Vater bei der Erledigung seiner Arbeit zusehen.

A: Hier offenbart sich wieder die die Konservativität des Actiongenres, denn es kann nicht sein, was nicht sein darf. Doch fangen wir am Anfang an: Nachdem eine terroristische Gruppierung ein Massaker auf Kreta verübt und dabei ein paar Dutzend Zivilisten umgelegt sowie zwei amerikanische Kinder als Geiseln genommen hat, sieht man es beim amerikanischen Geheimdienst an der Zeit, etwas gegen den Terroristen Hassim und seine Gefolgschaft zu unternehmen. Zu dieser gehört auch die rassige Samira, die wohl eher aus dem westlichen Kulturkreis stammt und mit ihrem freien Gebaren und Stolzieren vor den arabischen Männern, die sie im Grunde als Hassims Stellvertreterin befehligt, einigen Zorn auf sich zieht. Schon bei dem Terroranschlag zu Beginn, den sie in vorderster Front anführt, wird erkennbar, dass sie ihren eigenen Weg geht. Sie hat als einzige Freude am Töten und spielt ihre Macht über andere mit Vergnügen aus. Es muss wohl an Sandahl Bergmanns Ausstrahlung liegen, dass dies nicht zum nervigen, frauenfeindlichen Klischee verkommt. Schon durch ihre herbe Erscheinung geht von ihr mehr aus als einfach nur die böse Schlampe. Dieser ungezügelten weiblichen Kraft steht nun ein inzwischen etwas gealterter und korpulenter Robert Ginty gegenüber, doch wirkt sein Eric Mathews in seinen müden und unlustigen Bewegungen genau wie der Familiendaddy, der er sein soll. Wie Du schon meintest, steht er nun unentschlossen zwischen dem Nervenkitzel, den die Spezialaufträge mit sich bringen, und dem ruhigen Leben mit Frau und Kind. Die Konfrontation, die zwischen Samira und Mathews im Verlauf des Filmes aufgebaut wird, lässt sich bereits bei der Befreiungsaktion der amerikanischen Kindergeiseln erkennen, wenn Samira die größte Gegenwehr leistet, einen Soldaten der Spezialeinheit tötet und Ginty schwer verletzt, worauf dieser sie nur mit größter Mühe überwältigen kann. Stark genug jedoch, dass sie im Krankenhaus an ihren Verletzungen sterben wird.

FH: Samira wird von Beginn als Überfrau mystifiziert, die den Männern mehr als nur einen Schritt voraus, ihnen sogar weit überlegen ist. In der Bedrohung, die von ihrer sadistischen Mordlust und ihrem lüstern-berechnenden Blick ausgeht und die dann ihre krasse Pointierung in ihrer Umfunktionierung zur gefühllosen Mordmaschine erfährt, spiegelt sich explizit die Angst des Mannes vor der Frau, dem unbekannten Wesen, wider. Ihre ungezügelte, primitive Wut wird mit ihrer Maschinenwerdung auch in die für Männer handhabbaren Bahnen gelenkt und zwar durch typisch männliches Werkzeug, die Technik. Dass Männer- und Frauenwelt scharf getrennte Systeme sind, macht der Film zu jeder Sekunde deutlich: in dem von dir angesprochenen Misstrauen, das Samira von den Männern Hassims entgegenschlägt, den ausschließlich männlichen Entscheidungsträgern im Staatsdienst, den sexistischen Sprüchen und Abwertungen, die über der gehirntoten Samira während ihrer Operation ausgeschüttet werden – ohne Rücksichtnahme auf die beiwohnende OP-Schwester –, der bereits erwähnten Ausgrenzung der Ehefrau Mathews’ aus seinen Belangen. Die Frau ist in RETALIATOR erst Objekt und dann sogar Produkt der Männer. Infolgedessen ist Samiras Rachefeldzug gegen ihre Peiniger auch als Rachefeldzug einer unterdrückten Frau gegen die Männerwelt zu lesen. Eric Mathews ist als Wanderer zwischen diesen Welten dann auch der Einzige, der ihren Attacken etwas entgegenzusetzen hat und der sie am Ende besiegen kann. Mit dieser Tat verabschiedet er sich konsequenterweise aus dem Staatsdienst und wird – das Ende legt dies nahe – ganz Familienmensch.

A: Trotzdem deutet der Film aber an, dass es die Welt der Frau gibt, auch wenn sie nicht weiter ausgeleuchtet wird. Nachdem Mathews sich von seinen Verletzungen erholt hat, ist er geradezu besessen davon, herauszufinden, wo Samira steckt, doch seine Vorgesetzten winken ab. Offiziell kann man Mathews jetzt zwar als Held vorführen, da es ihm gelungen ist die Kinder aus der Hand der Geiseln zu befreien, hinter den Kulissen wird ihm die Angelegenheit jedoch entzogen und er hat sich nicht weiter einzumischen. Das kann er nicht auf sich sitzen lassen und bricht auf eigene Faust in den „Cybertron“-Komplex ein, in dem der forschungsorientierte Dr. Brock die Operation an Samira durchführt. Sharon Mathews kann dies nicht länger ertragen und droht ihrem Mann ihn zu verlassen. Als sie dann auch mit dem Sohnemann aus dem luxuriösen Eigenheim auszieht, ist Eric zwar betroffen, muss aber trotzdem weitermachen. Ein weiterer interessanter Punkt des Films ist die Authentizität, mit der man die Cyborg-Thematik einführt. Das Team erhielt Beratung vom "Department of Neurological Surgery" des LAC/USC Medical Center sowie der USC School of Medicine, wodurch die Dialoge der Wissenschaftler kein von einem unwissenden Drehbuchautor hingeschluderter Müll sind, sondern geschickt Überlegungen, die mit dem Voranschreiten der Neurowissenschaften in den frühen 1980er Jahren aufkamen, mit den Topoi klassischer sowie moderner Science-Fiction-Geschichten verbunden werden: die Idee vom künstlichen Menschen des Isaac Asimov, die Frage der K.I. aus den 1960ern und der Kybernetik neuronaler Netze, da das Gehirn immer noch der interessanteste aller „Computer“ ist. So wird hier vor Verhoevens ROBOCOP ein mit höchsten technologischen Mitteln versehener – ursprünglich rein biologischer – Körper moduliert und konstruiert und gesteuert wird er von einem manipulierten, menschlichen Gehirn.

FH: Nochmal kurz zur „Trennung“ der beiden Welten: In RETALIATOR wird durch die Ausblendung der Frauenwelt ziemlich deutlich gemacht, dass sie den Männern ebenso fremd bleibt wie deren Welt den Frauen. In RETALIATOR wird so expliziert, was sonst im Actiongenre immer nur implizit bleibt: nämlich dass es in erster Linie eine männliche Perspektive abbildet. Das Cyborg-Thema bleibt trotz der von dir erwähnten ungewöhnlichen Genauigkeit – man denke nur daran, auf welch hanebüchene Weise es in anderen Filmen dieses Themas abgehandelt wird – eher Katalysator, um den Genderdiskurs in Gang zu bringen. Die moralische Kritik, die in ROBOCOP noch ziemlich wichtig ist, bleibt hier bloße Folie. Wenn Samiras menschliche Persönlichkeit hervorbricht, die Macht über die kybernetischen Prozesse gewinnt und ihren Amoklauf verursacht, so ist das reine Genrekonvention. Der Film muss diesen Umschwung gar nicht vorbereiten, weil er dem Topos des Maschinenmenschen ja immer schon inhärent ist. Das Mitleid, dass etwa in ROBOCOP für Murphy beim Zuschauer evoziert wird und den Film vorantreibt, bleibt Samira verwehrt, da sie von Anfang an kaum menschliche Züge trägt. Im Grunde genommen verändert sie sich durch ihren Umbau gar nicht: Sie ist nach wie vor die gewissenlose Mordmaschine, nur dass sie nicht mehr auf eigene Rechnung töten darf, sondern eben im Dienste des Staates und vor allem der Männer steht.

A: Hier kann ich Dir nur teilweise zustimmen. Wir gehen absolut d’accord, dass der Film sehr schön das „Nebeneinander-her-Existieren“ der Welten aufzeigt, Mathews ein Wanderer zwischen maskuliner Mordwelt und femininer Familienwelt ist und sowohl Samira wie auch Mathews versuchen, diese Widersprüche in sich zu vereinen. Auch in der mangelnden Empathiegestaltung nach ihrer anschließenden Umwandlung in einen Killer-Cyborg kann ich mich Dir anschließen. Beim eigentlich wichtigsten Punkt kommen wir ins Gehege: Es ist eben nicht nur die Genrekonvention, die Samira gegen ihre Programmierung verstoßen lässt, sondern etwas, was von Dr. Brock sogar angedeutet wird. Die hirnspezifischen Bereiche, die für Vorgänge verantwortlich sind, die den Menschen überhaupt erst zum Menschen werden lassen, nämlich Empathie, Ethik, Ästhetikempfinden, können von ihnen – den Wissenschaftlern – nicht direkt manipuliert werden, da sie viel zu komplex sind. Sie müssen „in Ruhe gelassen" werden und ein spezieller Chip im Gehirn Samiras soll dafür sorgen, dass eventuell durch diese Bereiche auftretende Störungen unterdrückt werden können. Es wird nun also gehofft, dass sich diese verdrängten,sich in ihrer Gesamtheit zu Samiras Unter-Bewusstsein konstituierenden Parameter nicht negativ auf die Programmierung auswirken, doch eben genau dies geschieht. Samiras Unter-Bewusstsein ist zu stark, die Empfindungen, die durch ihren eigenen Tod ausgelöst werden, zu intensiv, sodass sie bei der Reaktivierung durch die Wissenschaftler noch nicht aus dem Gehirn verschwunden sind. Die neurowissenschaftliche Genauigkeit sowie die Dialoge zwischen Brock und seinen Mitarbeitern zeigen auf, dass hier der tiefste Punkt für die Interpretation zu finden ist. Der Mensch manipuliert Vorgänge, die er – wie er ja sogar selbst einräumt – nicht in seiner Gänze versteht, um der Natur auf die Sprünge zu helfen, doch virtuelle Vorgänge, die von Freud als Unbewusstes zusammengefasst worden sind, greifen die vom Menschen geschaffenen Entitäten an. Es ist der Chip, der ebendiese Vorgänge unterdrücken soll, der Symbol für die Fehlerhaftigkeit des Menschen und seiner Gott-Versuche ist. Dies wird vom Film explizit wie implizit getragen. Seine Bemühungen, psychoanalytische und biopsychologische Überlegungen zu verbinden, sind verblüffend präzise und alten Fragen sowie neuen Erkentnissen der Verhaltensforschung und Technikmöglichkeiten angepasst. Der gesamte Genderdiskurs ist dann die sich in der Gesellschaft ergebende Folge, denn natürlich ist es der Mann, der sich über die Schöpfung stellen möchte, indem er ein Wesen schafft, dass besser konstruiert sein soll als die Natur es vermag. Entsprechend die Witzelei am OP-Tisch, wenn Dr. Brock auf das Hirnareal verweist, in welchem sich das Sprachzentrum befindet, und er anmerkt, dass man bei Entfernung endlich die perfekte Frau hätte. Welches Unheil sie heraufbeschwören, ist ihnen nicht klar, denn Samiras Unter-Bewusstsein ist stärker als jede von Männern entwickelte Technologie und dadurch, dass sie körperlich verbessert wurde, werden die ausschließlich männlichen Beteiligten des Projekts Opfer der Geister, die sie riefen bzw. bauten.

FH: Schön auf den Punkt gebracht, Kollege! Das "Versagen" der Maschine wird jedoch relativ zügig abgehandelt. Schon der erste Einsatz der Maschinenfrau, den der Zuschauer zu Gesicht bekommt, endet mit ihrem Ausfall, wird nicht erst lang vorbereitet. Wie effektiv sie als Maschine ist, sehen wir nur in einer kurzen Demonstration nach ihrer „Fertigstellung“, ansonsten müssen wir, was ihre Effizienz angeht, den Berichten der Agenten glauben, die sie von Einsatzort zu Einsatzort kutschieren. Und bei deren Gesprächen steht wieder die sexuelle Komponente im Mittelpunkt: Die Männer genießen ihre Aufgabe nicht nur, weil sie sich den ganzen Tag in der unmittelbaren Nähe Samiras befinden, der gegenüber sie zu keiner schamvollen Dezenz mehr verpflichtet sind, weil sie sie eh nicht „verstehen“ kann, sondern auch, weil sie durch die moderne Technologie in der Lage sind, durch ihre Augen zu blicken, also in den Körper der Frau zu schlüpfen. Da kommen auch latente sadomasochistische Triebe zum Ausdruck, wenn sie aus Sicht der Frau dabei zusehen können, wie diese reihenweise Männer umbringt.

A: Dennoch nimmt der neurowissenschaftliche Aspekt einen größeren Raum im Film ein als der Genderaspekt, da letzterer nur implizit vorhanden ist und anhand von Aussagen und Verhaltensweisen der Figuren interpretiert werden muss. Das Neuro-Science-Institute „Cybertron“ ist allerdings expliziter Bestandteil der Handlung und die bereits erwähnten, präzisen Dialoge der Wissenschaftler sowie die ständig wiederkehrenden Flashbacks Samiras, in denen sie ihren und den Tod ihres Geliebten durchleidet, machen ja deutlich, dass ihre Antriebsfeder nicht nur eine Rebellion gegen patriarchalische Strukturen ist, sondern sie von tiefer sitzenden Vorgängen angetrieben wird, die, obwohl sie doch ein Teil des Menschen sind – das in ihm nicht konkretisierbare Unbewusste –, von keiner Wissenschaft, ja nicht mal von der menschlichen Vorstellungskraft erfasst werden können. Warum auch sonst sollte man so genau die wissenschaftliche Seite schildern? Eben weil so nach dem Amoklauf Samiras ihr Scheitern noch offensichtlicher wird. Und aufbauend auf dieser Prämisse kommt dann der Genderdiskurs zum Tragen, weil es doch wieder Männer sind, die sich solcherlei Machtspielereien verschrieben haben. Die von Dir genannten Punkte treffen somit alle zu und sind Folge der von Männern eingeleiteten Ereignisse. In genau dieser Verknüpfung sehe ich die Besonderheit des Filmes.

FH: Es gehört zu den Meriten dieses Films, dass mehrere Deutungsebenen ziemlich geschickt verbunden werden; auf viele können wir hier ja gar nicht eingehen – und das erstaunt umso mehr, wenn man bedenkt, um was für eine Art Film es sich hier eigentlich handelt. RETALIATOR ist ja kein philosophischer Science-Fiction-Film, sondern ein kleiner B-Action-Film. Die für einen solchen Film typische Männerperspektive wird sehr krass in Frage gestellt, das dürfte dem männlichen Zuschauer den gemütlichen Videoabend recht ordentlich verhagelt haben: Richtiggehend geschockt hat mich die Szene kurz vor Schluss, wenn Mathews nach einem sakral ausgeleuchteten Abendessen im Kreis seiner Familie vom Tisch aufsteht, unter dem er die ganze Zeit ein Gewehr auf dem Schoß hatte, weil er weiß, dass der große Showdown kurz bevorsteht. Das Hohelied auf die Wehrhaftigkeit, das im Vigilantenfilm gesungen wird, erhält da doch deutliche Störgeräusche. Überhaupt bleibt in der Arbeit Mathews’ wenig Platz für heroische Taten. Zwar siegt er am Schluss, doch gibt es keinen Triumph, keine Jubelbilder, weil er ja nur das Unrecht beendet hat, das sein eigener Staat begangen hat. Im Gegensatz zu anderen Filmen kommt hierin aber nicht das typische Misstrauen gegenüber „denen da oben“ zum Ausdruck, vielmehr ist die gesamte Männerwelt infiziert. Die Soldaten sind hier keine aufrechten Krieger mehr, sondern üble Chauvinisten und Vollstreckungsgehilfen, deren großspuriger Omnipotenzwahn gegenüber der Frau sie aber dann schließlich teuer zu stehen kommt.

A: Interessant auch noch die Seitenhiebe auf die Kulturen. Der amerikanische Geheimdienst entwickelt mit Samira einen „Cyborg-Maulwurf“, der in der Lage ist, die arabischen Terroristen mit dem zu unterwandern und zu vernichten, wovor dieser Kulturkreis die größte Angst hat: weibliche Sexualität. Auf die Amerikaner kommt dies dann wie ein Bumerang zurück, wenn ihr selbst erschaffener Golem an ihnen Rache übt. Der Begriff des Golems funktioniert hier im babylonischen – ein weibliches Wesen, das nicht empfangen kann – wie im jüdischen Sinne, wo es sich um ein Befehle entgegennehmendes künstliches Geschöpf handelt. Um den Kreis zur anfangs erwähnten Konservativität des Actiongenres zu schließen, muss nun erwähnt werden, dass Samiras Treiben ein deutlicher Riegel vorgeschoben wird. Dies liegt in den Händen Mathews, der sich, als Samira inzwischen völlig verrückt spielt und droht eine ganze Militärbasis auszulöschen, auf die nächstbeste Planierraupe schwingt und sie in Grund und Boden stampft. Die Situation schien aussichtslos, die Zahl der durch sie getöteten Soldaten nahm extremste Ausmaße an und so ist es der völlig ruhig bleibende Mathews, der einer Amok laufenden Weiblichkeit Einhalt gebietet. Samira wurde mit allem Technik-Schnickschnack ausgestattet, doch was die Konstrukteure nicht berücksichtigten, war ihre weibliche Kraft, die sie schließlich gegen ihre Schöpfer rebellieren ließ. Nachdem ihr Dutzende Männer zum Opfer fielen, tötet sie der Mann, der den Dualismus in sich vereinen kann. Die Kamera schenkt uns nach Samiras Zerstörung keinen Blick mehr auf Mathews Gesicht. Sie ist am Boden neben der Planierraupe positioniert und wir sehen nur von hinten wie er hinunterspringt, mit beiden Beinen auf dem Boden landet und sich humpelnd vorwärts schleppt. Die Soldaten sind scheinbar alle tot, er humpelt an Samira vorbei und kann nun als erster Actionheld, den wir hier bisher besprochen haben, einer sinnvollen Existenz entgegengehen. Nachdem er sich von allem Männlich-Destruktiven erlöst hat, kann er in die Arme seiner Familie gehen, einer gebenden, ihn aufnehmenden und beschützenden Weiblichkeit. Er ist zu Hause.